BU: Blutegel werden seit Jahrhunderten in der Medizin eingesetzt, etwa zur Behandlung von Venenleiden oder nach Operationen, um die Durchblutung zu fördern. Foto: Schmalz

Bionische Vakuumtechnik ist das Herzstück einer neuen Generation intelligenter Saugsysteme, die das Unternehmen Schmalz derzeit entwickelt. Die Technik, die sich an der einzigartigen Anatomie von Blutegeln orientiert, zeigt eindrucksvoll, wie viel Potenzial in der Übertragung biologischer Prinzipien auf industrielle Anwendungen steckt. Besonders bei der Effizienzsteigerung von Saugern eröffnet die Bionik neue Wege – mit vielversprechenden Ergebnissen für Produktionsprozesse, Energieverbrauch und Nachhaltigkeit.


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Effizienzsteigerung durch Naturbeobachtung: Der Blutegel als Vorbild

Die Verbesserung der Energieeffizienz industrieller Komponenten ist für Schmalz ein zentrales Ziel. In der aktuellen Forschung schaut das Unternehmen daher bewusst über den technischen Tellerrand hinaus – und orientiert sich an der Natur. Im Mittelpunkt steht ein Organismus, der zunächst ungewöhnlich wirken mag, aber enorme technische Relevanz entfalten kann: der Blutegel. Seine Haftorgane sind in der Lage, sich auf unterschiedlichsten Oberflächen sicher zu fixieren – unabhängig davon, ob diese feucht, rau, porös oder glitschig sind. Die Kombination aus Saughaftung und mechanischem Greifen macht ihn zum idealen biologischen Vorbild.

„Dabei ist sie meist sehr effizient“, unterstreicht Dr. Harald Kuolt. Er leitet die Forschungsprojekte bei Schmalz. „Wir haben nach natürlichen Saugverfahren gesucht, um unsere eigenen Vakuum-Systeme zu verbessern.“


Funktionale Morphologie trifft Hightech-Versuchsaufbau

Um die Mechanik hinter der außergewöhnlichen Haftkraft des Blutegels zu entschlüsseln, hat Schmalz gemeinsam mit der Universität Freiburg ein Forschungsprojekt gestartet. Ziel war es, die funktionale Morphologie und Biomechanik dieser Tiere zu verstehen und auf die Vakuumtechnik zu übertragen. „Wir untersuchten die Funktionsmorphologie und Biomechanik der Blutegel“, beschreibt Prof. Dr. Thomas Speck. Er leitet die Arbeitsgruppe „Botanik – funktionelle Morphologie und Bionik“ an der Uni Freiburg.

Durch manuelle Abzugsversuche sowie rotierende Systeme wurde ermittelt, unter welcher Fliehkraft sich ein Blutegel von der Oberfläche löst. „Wir betraten Neuland und entwickelten hierfür spezielle Versuchsaufbauten, um die Haftkräfte der Blutegel zu messen“, schildert Thomas Speck.


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Biologische Grundlagen für technische Umsetzung

In der nächsten Phase des Projekts analysierte das Team die anatomische Struktur des Saugorgans im Detail. Die Kombination aus muskelgesteuerten Saug-, Abdicht- und Greiflippen gibt dem Organ seine herausragenden Fähigkeiten. „Das Verständnis des Form-Struktur-Funktions-Zusammenhangs des Saugorgans ist essenziell für weiterführende Abstraktions- und Umsetzungsschritte für neue, bionisch optimierte Systeme von Schmalz“, erklärt Dr. Simon Poppinga, der an der TU Darmstadt die biologische Grundlagenforschung am Modellorganismus leitet.


Vom Tiermodell zur industriellen Anwendung

Die Forschungsarbeit trägt bereits Früchte. „Unsere Vorentwicklung hat daraufhin einen Prototyp gefertigt, der sich von unserem Standard-Sortiment unterscheidet“, berichtet Harald Kuolt. Der innovative Sauger-Prototyp unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten von bisherigen Lösungen: Zum einen verläuft die Dichtlippe in eine andere Richtung als bei herkömmlichen Saugern. Zum anderen wurden die Krümmungsradien angepasst und verschiedene Materialhärten miteinander kombiniert.

„Wir konnten das Totvolumen reduzieren und damit deutlich schneller evakuieren“, freut sich der Forschungsleiter. „Unser Ziel ist, dass der neue Sauger in Bezug auf Halte- und Scherkräfte sowie Abdichtverhalten besser performt als die üblichen Modelle. Außerdem soll er sich industriell fertigen lassen.“ Auch in puncto Nachhaltigkeit wurden hohe Maßstäbe angesetzt. „Und auch sein Carbon Footprint müsse sich an bisherigen Saugern messen.“


Zwei Sauger-Varianten mit hoher industrieller Relevanz

Derzeit befinden sich zwei Varianten des neuen Saugers in der Weiterentwicklung. Diese zeichnen sich durch besonders kurze Evakuierungszeiten aus – ein klarer Vorteil für automatisierte Produktionslinien mit hoher Taktung. Zudem erzielen sie auf rauen Oberflächen eine deutlich bessere Abdichtung und bieten eine lange Standzeit.

Dank der strukturell neu gestalteten Dichtung kann der Sauger auch auf empfindlichen oder unebenen Materialien zuverlässig haften – eine entscheidende Eigenschaft für flexible Anwendungen in der Industrieautomatisierung. „Die Sauger müssen prozesssicher in Standard-Applikationen funktionieren, wir wollen keine Lösung für wenige Spezialfälle entwickeln“, betont Harald Kuolt.


Zukunftsperspektive: Bionische Vakuumtechnik als Effizienztreiber

Die intensive Auseinandersetzung mit dem Modellorganismus Blutegel zeigt, wie gewinnbringend die bionische Vakuumtechnik für industrielle Anwendungen sein kann. Schmalz gelingt damit nicht nur eine technische Innovation, sondern auch ein Beitrag zur nachhaltigen Produktion durch energieeffiziente Prozesse und optimierte Materialverwendung. Die Natur liefert dabei nicht nur Inspiration, sondern auch konkrete Mechanismen für zukunftsfähige Technologien.

Mit dem Ansatz, biologische Strukturen konsequent in technische Funktionalität zu überführen, hebt Schmalz das Innovationspotenzial der Bionik auf ein neues industrielles Niveau. Die kommenden Entwicklungen werden zeigen, wie stark die Verbindung aus Biologie und Technik die industrielle Automation nachhaltig verändern kann.