BU: Dr. Christoph Beumer im Gespräch über die Unternehmensführung im Familienunternehmen mit LOGISTIK-aktuell. Foto: BEUMER Group
Herr Dr. Beumer, gerne möchten wir mit Ihnen über das Thema Unternehmensführung im Familienunternehmen reden. Wenn Sie Ihre Jahrzehnte an der Spitze der BEUMER Group auf drei dauerhafte Management-Prinzipien destillieren müssten: Welche wären das – und wo haben Sie selbst ein Prinzip bewusst über Bord geworfen, um das Unternehmen weiterzubringen?
Dr. Christoph Beumer: Mein Leitmotiv lautet bis heute: „Kümmere dich um die Menschen, dann kümmern sich die Menschen ums Geschäft.“ Das klingt einfach, ist aber ein sehr belastbares Führungsprinzip. Ich engagiere mich ehrenamtlich im Aufsichtsrat eines städtischen Krankenhauses. Wenn ein Mitarbeiter gesundheitliche Probleme hat, weiß er, dass er mich ansprechen kann. Ich helfe über mein Netzwerk. Und wenn jemand, der monatelang auf Montage in China war, plötzlich zurückmuss, weil zu Hause etwas passiert ist, dann holen wir ihn selbstverständlich nach Hause. Solche Erlebnisse prägen das Vertrauen – und sie schaffen Bindung, die man nicht verordnen kann.
Das zweite Prinzip: Langfristigkeit. Wir haben nie den schnellen Erfolg gesucht, sondern Stabilität und Partnerschaft. Und das dritte Prinzip ist „Made Different“ – also bewusst anders zu denken, wenn alle in dieselbe Richtung laufen. Das gilt für Technologie genauso wie für Führung.
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Dieses Kümmern, von dem Sie gerade sprachen – sind Sie in diesem Fall eher „Mensch“ als „Manager“?
Dr. Christoph Beumer: Ich sehe da keinen Gegensatz. Ich bin ja nicht entweder Geschäftsführer oder Mensch. Respekt ist kein Führungsstil, sondern eine Haltung. In einem Familienunternehmen steckt das Wort „Familie“ nicht umsonst. Natürlich kann ich niemandem den Tee ans Bett bringen, aber ich kann Sicherheit geben. Wer krank ist, soll nicht noch Angst um seinen Job haben. Dann sollte er sich auch erholen können. Und umgekehrt weiß ich: Auf diese Menschen kann ich mich verlassen.
So entsteht eine Sinngemeinschaft, die über den Gehaltsscheck hinausgeht. Manche arbeiten hier, weil sie Geld verdienen wollen – das ist legitim. Aber viele bleiben, weil sie sich verbunden fühlen. Das ist unbezahlbar.

Die BEUMER Group ist in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen – von 600 auf über 5.700 Mitarbeitende weltweit. Lässt sich diese Kultur überhaupt noch skalieren?
Dr. Christoph Beumer: Es ist schwieriger, keine Frage. Mit 600 Leuten kennt man fast jeden, mit 6.000 wächst die Distanz. Gleichzeitig sind Vertrauen, Respekt und Fairness Haltungen, die auch im internationalen Geschäft, egal wo auf der Welt, bei Mitarbeitern und Kunden räsonieren. Natürlich kann man sich bei so vielen Leuten nicht mehr um jedes Einzelschicksal kümmern. Aber ich wüsste in 30 Jahren keine Situation, in der jemand mit einem echten Anliegen zu mir kam und ich gesagt hätte: „Du, dafür habe ich keine Zeit.“
Diese Haltung trägt. Sie ist ein Stück DNA – genauso wie der Mut, Entscheidungen langfristig, manchmal auch entgegen dem Mainstream, zu denken und dann auch so zu handeln. Und das ist vielleicht das größte Kapital eines Familienunternehmens: Die Unabhängigkeit in den Entscheidungen, nicht getrieben sein von Analysten und Social-Media-Meinungen.
Der Slogan „Made Different“ ist heute Kern der Markenidentität. Was bedeutet er für Sie persönlich?
Dr. Christoph Beumer: Er bedeutet: Dinge zu tun, weil sie sinnvoll sind – nicht, weil sie alle tun. Wir haben die Digitalisierung früh mit einem klaren Drei-Säulen-Modell angelegt. Natürlich haben wir investiert, auch viel Geld, etwa in unseren Company Builder in Berlin. Aber wir haben daraus Start-ups entwickelt, die heute Teil unserer Geschäftsmodelle sind. Von neun Beteiligungen performen drei bis vier so, dass sie echten Mehrwert bringen – das ist im Start-up-Umfeld eine sehr ordentliche Quote.
Wir sind nicht die Art von Unternehmen, das auf jeden Tech-Hype springt. Aber wir wissen, dass digitale Wertschöpfung bleibt. Entscheidend ist: Wir gestalten sie auf unsere Art – robust, partnerschaftlich und immer mit Substanz.
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Die Übernahmen von Crisplant 2009 und FAM 2022 haben die Gruppe strategisch erweitert. Was haben Sie über erfolgreiche Integration gelernt?
Dr. Christoph Beumer: Eine Integration ist nicht dann gelungen, wenn nach zwölf Monaten alle das gleiche Fähnchen schwenken. Das ist Kosmetik. Gelungen ist sie, wenn Menschen sagen: „Ich fühle mich hier zu Hause.“ Nach der Crisplant-Übernahme haben wir das Logo behalten und „Member of BEUMER Group“ ergänzt. Drei Jahre später kamen die Mitarbeitenden selbst auf uns zu: „Wenn wir doch BEUMER Group sind, warum dann nicht auch mit gleichem Logo?“
Erst dann haben wir es vereinheitlicht – aus Überzeugung der Belegschaft, nicht per Order. Das zeigt: Kulturelle Integration funktioniert von innen nach außen, nicht umgekehrt.
Der Maschinenbau wird zunehmend softwaregetrieben. Wird BEUMER langfristig zum Softwareunternehmen?
Dr. Christoph Beumer: Nein. Wir sind und bleiben Maschinen- und Anlagenbauer. Natürlich hat sich die Gewichtung verschoben. Wenn früher zehn Ingenieure Mechanik und drei Steuerung machten, sind es heute zehn in der Mechanik und zwanzig in Software, Diagnose und Datenanalyse. Aber die beste KI dieser Welt kann keinen Sack von A nach B tragen. Dafür braucht es nach wie vor Mechanik.
Ich bin daher überzeugt: Die Zukunft liegt im intelligenten Zusammenspiel von smarter Software und solider Hardware. Unternehmen, die glauben, Systemintegration ohne detailliertes Verständnis der Produkte reiche, scheitern früher oder später.
Sie haben einmal gesagt, Mechaniker würden zur „raren Ressource“. Wie begegnet man diesem Mangel?
Dr. Christoph Beumer: Das habe ich so sicher nicht gesagt, weil ich Menschen nicht als Ressource beschreibe, die man verbraucht. Bei uns heißt es deshalb auch nicht „Human Resources“ sondern „People and Culture“. Aber den Mangel wird es trotzdem geben und dem begegnet man am besten, indem man selbst ausbildet. Wir haben seit 25 Jahren ein eigenes Ausbildungsmodell: Lehrwerkstatt, Stipendien fürs Maschinenbaustudium, Praxisphasen, Integration ins Engineering. Diese jungen Menschen wachsen mit dem Unternehmen. Sie verbinden Theorie und Praxis – das ist der beste Weg, Kompetenz zu sichern.
Und das ist auch eine Frage der Haltung: Wir müssen wieder stolz auf gute Technik sein. Ein sauber konstruiertes Förderband ist kein Relikt, sondern Grundlage moderner Logistik.
Viele Kunden verlagern Netzwerke, erhöhen Redundanzen, elektrifizieren Prozesse. Wie verändert das die Auslegung Ihrer Systeme?
Dr. Christoph Beumer: Es gibt selten einfache Antworten. Unternehmen, die bewusst höhere Kosten für einen besseren CO₂-Fußabdruck tragen, sind die Ausnahme. Wir alle müssen das, was wir tun, nachhaltiger machen – aber im globalen Umfeld gilt auch: Flexibilität kostet Geld.
Wir haben schon früh Standorte diversifiziert in China, Indien, Europa. Damit bleiben wir lieferfähig, wenn Märkte plötzlich kippen. Flexibilität ist ein hohes Gut, besonders in Zeiten geopolitischer Volatilität. Aber sie hat ihren Preis, und zu viel davon führt ins Chaos. Es ist immer ein Abwägen: Stabilität versus Effizienz, CO₂-Fußabdruck versus Versorgungssicherheit. Wer diesen Trade-off versteht, kann bestehen.
Ihre Anlagen laufen Jahrzehnte. Wie halten Sie das Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit, technischer Aktualität und Wirtschaftlichkeit?
Dr. Christoph Beumer: Nachhaltigkeit bedeutet, Dinge länger nutzbar zu machen, ohne Stillstand zu riskieren. Wenn eine Anlage 25 Jahre alt ist und dauerhaft läuft, kann sich eine Neuinvestition lohnen. Wenn ein Palettierer nur noch einmal pro Woche läuft, genügt vielleicht ein Retrofit. Wir haben Anlagen, die nach 60 Jahren noch funktionieren. Das spricht für Qualität, aber nicht jede Struktur kann man ewig aufrechterhalten.
Wir sagen unseren Kunden offen: Wenn du weiter zuverlässig produzieren willst, brauchst du irgendwann einen neuen Kern. Retrofit und Neubau sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Philosophie – langfristige Performancet durch Weitsicht.
Sie haben die operative Verantwortung abgegeben, heute führt ein externes Managementteam. Wie war dieser Übergang zu gestalten?
Dr. Christoph Beumer: Der Wechsel war vorbereitet. Wir wollten ein Unternehmen, das durch Familie geführt werden kann, aber nicht muss. Die Familie hat sich entschieden, Eigentümerin zu bleiben. Dies gelingt nur unter der Bedingung, dass sich die Gesellschafter entsprechend qualifizieren.
Deshalb haben wir eine Governance aufgebaut, die externes Management stärkt mit klaren Leitplanken, Beirat, Verantwortlichkeiten. Heute arbeite ich als Beiratsvorsitzender eng mit der Geschäftsführung zusammen – vier Sitzungen im Jahr, monatliche Strategierunden. Ich greife nicht ins Tagesgeschäft ein, aber wir führen den Dialog auf Augenhöhe. Und ja, natürlich gibt es Reibungspunkte. Das ist normal. Entscheidend ist das gemeinsame Fundament.
Also fällt Ihnen das Loslassen nicht schwer?
Dr. Christoph Beumer: Nein, eigentlich nicht. In den letzten zwei Jahren habe ich mich weitestgehend zurückgezogen, wie angekündigt. Aber im Moment bin ich wieder näher dran, weil es Themen gibt – vor allem hier in Deutschland –, die meine Unterstützung brauchen. Die Gruppe performt hervorragend, aber der Standort Deutschland steht unter Druck. Da helfe ich, wo ich kann.
Ich sage jedoch immer: Wenn’s läuft, ziehe ich mich zurück. Wenn es irgendwo brennt, schaue ich hin. Das ist keine Einmischung, sondern Verantwortung. Und es ist auch menschlich – BEUMER ist ein Teil meines Lebens.
Und was bleibt für Sie nach neun Jahrzehnten Unternehmensgeschichte als wichtigste Lehre?
Dr. Christoph Beumer: Drei Dinge: Menschen, Langfristigkeit, Eigenständigkeit. Kümmern, damit Leistung freiwillig entsteht. Entscheidungen so treffen, dass sie in zehn Jahren noch tragen. Und den Mut haben, anders zu denken – ob bei Integration, Digitalisierung oder globaler Aufstellung.
Wir sind ein Unternehmen, das in Generationen denkt, nicht in Quartalen. Und genau das, glaube ich, ist das Geheimnis von Beständigkeit.
Herr Dr, Beumer – wir danken Ihnen herzlich für dieses interessante Gespräch und wünschen Ihnen für Ihren „ruhigeren“ Lebensabschnitt alles Gute.
Weitere Informationen zur BEUMER Group gibt es hier.




